Prävention von sexualisierter Gewalt in der Roverstufe
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- vor 4 Jahren zuletzt von Johannes Muselmann bearbeitet
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Inhaltsverzeichnis
Grenzverletzungen in der Roverrunde
Unter sexualisierter Gewalt versteht man jede Form von sexueller Handlung, die entweder gegen den Willen der Betroffenen vorgenommen wird oder der die Betroffenen aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Man unterscheidet zwischen Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch.
Eine Grenzverletzung ist ein unangemessenes Verhalten. Grenzverletzungen passieren häufig unbewusst und sind selten sexuell motiviert. Grenzverletzungen können z. B. entstehen, wenn man ein Spiel mit besonders viel Körperkontakt spielt. Dabei kann es auch (bewusste) Berührungen an Stellen geben, die als unangenehm empfunden werden.
Sexualisierte Sprache oder Körperkontakt, der von einer/einem oder mehreren Beteiligten als „zu nah“ empfunden wird, kann als Grenzüberschreitung wahrgenommen werden. Wo eine Grenzverletzung beginnt, ist abhängig vom Empfinden jeder und jedes Einzelnen. Grenzverletzungen sind nach dem Strafgesetzbuch (StGB) keine Straftat, im Gruppenalltag muss trotzdem darauf geachtet werden, dass diese vermieden werden und sich jedes Gruppenmitglied wohlfühlt.
Rover*innen testen im Alltag ihre Grenzen aus, auch in der Gruppenstunde oder auf Freizeiten, Fahrten und im Lager. Es kann schnell zu unbewussten Grenzverletzungen kommen, da ihnen ggf. gar nicht bewusst ist, dass das Gegenüber andere Grenzen hat als sie selbst. Die Kinder und Jugendlichen der jüngeren Stufen orientieren sich häufig am Verhalten der „Älteren“, deswegen ist es wichtig, dass Roverleiter*innen über grenzverletzendes Verhalten sprechen und dieses im Gruppen- und Stammesalltag unterbinden. Ein besonderes Augenmerk sollten die Leiter*innen auf die Sprache von Rover*innen im Stammesalltag legen, was in der Roverrunde voll in Ordnung ist, kann im Umgang mit jüngeren Kindern oder Jugendlichen unangebracht sein.
Pädagogische Grundlage
Durch selbst gesetzte Ziele und prägende Erlebnisse entdecken und entwickeln Rover*innen ihre eigene Persönlichkeit und damit auch ihre Sexualität. Eine starke Persönlichkeit und eine Kultur der Achtsamkeit sind aus unserer Sicht der beste Schutz gegen sexualisierte Gewalt.
„Paddle your own canoe“ meint, dass die Jugendlichen bei den Pfadfindern lernen, sich von niemandem etwas aufzwingen zu lassen und zunehmend eigenständig zu denken und zu handeln. Dazu werden sie von ihren Leiter*innen auf altersstufengerechte Weise in die Verantwortung genommen und an Entscheidungen beteiligt.
„Learning by doing“ heißt, dass die Jugendlichen durch eigenständiges Handeln Dinge erleben und Erfahrungen sammeln, die sie persönlich weiterbringen und sie in ihrem Selbstbewusstsein stärken. Dafür sorgen ihre Leiter*innen immer wieder für einen geschützten Rahmen, in dem die Jugendlichen die Möglichkeit haben, sich auszuprobieren.
„Look at the child“ bedeutet, dass die Leiter*innen die Bedürfnisse und Interessen der Jugendlichen sensibel wahrnehmen und sich in ihrem Leitungshandeln daran orientieren. Sie nehmen auch ihre eigenen Grenzen und die Grenzen der Jugendlichen bewusst wahr und ermutigen diese, sich ihrer Grenzen bewusst zu werden. Die Jugendlichen lernen, Grenzverletzungen zu erkennen und diese nicht zu akzeptieren.
Um ein vertrauensvolles Gruppenklima zu schaffen, in dem dieses Lernen möglich ist, werden gemischtgeschlechtliche Gruppen idealerweise auch von einem gemischtgeschlechtlichen Team geleitet und auf Lagern, Freizeiten und Fahrten begleitet.
Prävention im Gruppenalltag
Rover*innen haben ein Recht auf ihre Gefühle und Empfindungen. Genauso haben sie das Recht, mitzuteilen, wenn ihnen etwas nicht gefällt. Damit sich die Jugendlichen in ihrer Roverrunde ernst genommen fühlen, müssen die Leiter*innen darauf achten, die Interessen, Bedürfnisse und Grenzen der Jugendlichen wahrzunehmen, diese zu respektieren und darauf einzugehen. Es ist die Aufgabe der Leiter*innen, die Rover*innen in ihrer Entwicklung zu stärken. Die Themen „Gefühle wahrnehmen“ und „Grenzen und Bedürfnisse benennen“ kann man im Roveralter als Themen für eine oder mehrere Gruppenstunden wählen oder auch in zwanglose Gespräche mit den Rover*innen einfließen lassen.
Wichtig ist vor allem, als Leiter*in ein Vorbild zu sein. Wenn man möchte, dass sich die Jugendlichen einem Thema öffnen, müssen die Leiter*innen sich zuerst diesem Thema öffnen. Wenn es z. B. das Ziel in der Roverrunde ist, dass die Rover*innen zu ihren Gefühlen stehen und lernen, sie auszudrücken, müssen die Leiter*innen genauso ihre eigenen Gefühle ernst nehmen und mitteilen. Es gibt einfache Methoden oder kleine Spiele, die man zu Beginn oder am Ende einer Gruppenstunde durchführen kann, um dies zu üben.
Durch Mitbestimmung lernen Rover*innen ihre Bedürfnisse zu formulieren und die Bedürfnisse aller anderen in der Gruppe ernst zu nehmen.
Darüber hinaus können gemeinsam erarbeitete Gruppenregeln maßgeblich zu einem achtsamen Gruppenklima beitragen und festlegen, welche Verhaltensweisen im Gruppenalltag keinen Platz haben sollen. Viele Methoden, die wir in unserem pfadfinderischen Gruppenalltag nutzen, um Mitbestimmung möglich zu machen, zielen genau darauf ab, Jugendliche zu stärken und zu befähigen, für ihre eigene Meinung und ihre eigenen Bedürfnisse einzustehen.
Prävention als Thema für die Gruppenstunde
Da in vielen Stämmen Rover*innen Verantwortung für den Stamm tragen, kann es sinnvoll sein, sich dem Thema „Prävention von sexualisierter Gewalt“ in einer Gruppenstunde zu widmen. Wenn man sich entscheidet, bewusst mit Rover*innen präventiv zum Thema sexualisierte Gewalt zu arbeiten, gilt es, dabei ein paar Dinge zu beachten. Eine Einheit bzw. eine Gruppenstunde zum Thema sollte erst durchgeführt werden, wenn die Leiter*innen die Ausbildungsbausteine 2d und 2e oder eine Präventionsschulung vom Bistum absolviert haben. Dort kann man von Expert*innen geeignete Methoden für die Arbeit mir Rover*innen erlernen. Sie dienen als Grundlage, um eine solche Einheit vernünftig vorzubereiten und durchzuführen.
Die Jugendlichen (und im besten Fall auch die Eltern) sollten im Vorfeld darüber informiert werden, was als Einheit geplant ist. Sie sollten einverstanden sein, um unbefangen an das Thema heranzugehen.
Wichtig ist vor allem, dass weder die Leiter*innen noch die Rover*innen mit dem Thema überfordert werden! Es gibt auch die Möglichkeit, externe Referent*innen von einer Fachberatungsstelle einzuladen. Mit diesen kann man zum Thema „Sexualität“ arbeiten oder Workshops und Methoden zum Thema „Nähe und Distanz“ durchführen.
Beim konkreten Thema „sexualisierte Gewalt“ in der Gruppenstunde ist es sinnvoll, sich fachliche Unterstützung von Externen zu holen, da es sehr schwierig ist, abzuschätzen, wie die Jugendlichen auf dieses Thema reagieren. Es kann z. B. vorkommen, dass Rover*innen aus persönlichen Erfahrungen heraus sehr betroffen sind.
Intervention
Natürlich ist es für unseren Verband ein großes Anliegen, durch Prävention Situationen sexualisierter Gewalt gar nicht erst entstehen zu lassen. Doch kann man nicht jede Situation verhindern. Deswegen ist es notwendig, sich auch dem Thema Intervention als Teil der Prävention zu widmen.
Du bist selbst betroffen oder es hat sich dir jemand anvertraut?
Auf der Webseite des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung gibt es viele Informationen und die Möglichkeit, Beratungsstellen vor Ort zu suchen
Siehe auch
Arbeitshilfe Aktiv gegen sexualisierte Gewalt, Prävention und Intervention in der DPSG der Bundesleitung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, Stand 2019, Link zum Onlinedokument
Autor*innen
Christina Koch